Wie stellt man Heimat her?

Identität ist ein Gefühl, das in Zugehörigkeit wurzelt. Wer es von seiner Familie vererbt bekommt, ist gut dran. Wer nicht, der hängt in der Luft und muß sich seine Identität selbst zimmern. Je größer die Menschenmenge, in der man sich dauerhaft bewegt, und je wechselhafter der “Lebensmittelpunkt”, desto abstrakter wird die eigene Identität, bis sie sich schließlich auf rein körperliche Merkmale beschränkt. Je kleiner die Menschenmenge, in der man sich dauerhaft bewegt, und je unverrückbarer der Lebensmittelpunkt, desto konkreter und einfach vorhanden ist die Identität des Einzelnen.

Der Mensch gehört zum Land. Er ist am intensivsten bei sich selbst, wenn er umringt ist von Menschen, die sich mit derselben Landschaft, demselben Boden wie er identifizieren. Wer keine Heimat hat, fühlt keine Identität, sondern nur einen intellektuell definierten, willkürlich ausgesuchten Ersatz. Wer in der Heimat lebt, aber umringt ist von Fremden, leidet ebenso wie derjenige, der umringt ist von vertrauten Menschen, aber fern der Heimat.

Nicht umsonst gibt es den frustrierten Spruch Neuheimatsuchender: Wo die Landschaft wundervoll ist, sind die Leute öde. Und wo die Leute wundervoll sind, ist die Landschaft öde. Um sich an einem neuen Ort rundum wohl zu fühlen, braucht es also Land und Leute, die einen ansprechen müssen.

Wenn nun viele neue Menschen an einen Ort kommen und die alteingesessenen Träger der lokalen Identität mehr und mehr aussterben – wie schafft man es, daß diese wahllos zusammengewürfelten, neuen Einwohner eine echte gemeinsame Identität fühlen und entsprechend gemeinschaftlich zu handeln in der Lage sind?

Was schafft Gemeinschaftsgefühl?

Gemeinsame Probleme und gemeinsames Bewältigen dieser Probleme. Und, ja, gemeinsames Feiern natürlich auch, aber es ist weniger verbindlich als gemeinsame Problembewältigung.

Solange die Menschen am Ort kein gemeinsames, wirklich bedrohliches Problem haben, das sie auch beim besten Willen nicht ignorieren und einzeln auch nicht bewältigen können, solange wird jeder der Neuankömmlinge hier letztlich nur seine eigenen Interessen verfolgen, die mit dem Land und dem Ort nichts zu tun haben, sondern nur zufällig dort von ihm umgesetzt werden.

Noch deutlicher: Solange die nichtalteingesessenen Menschen nicht erleben, daß der Erdboden, auf dem sie stehen, alle hier Lebenden ernährt oder eben nicht ernährt, also überleben oder eben nicht überleben läßt, je nachdem, wie alle gemeinsam mit ihm umzugehen in der Lage sind – solange werden sie keine tiefe, dankbare Beziehung zu ihm entwickeln, sich mit ihm nicht identifizieren und er also nicht ihre Heimat sein.

Das ist der eine notwendige Aspekt, die dankbare Beziehung zum Boden. Der andere notwendige Aspekt ist wie gesagt die Wertschätzung der Menschen füreinander.

Solange jeder “sein Ding” macht, unter Anteilnahme, Gleichgültigkeit oder gar gegen den Widerstand der anderen, solange wird Wertschätzung für einander und damit Gemeinschaftssinn kaum zu finden sein. Erst, wenn man von den anderen für seinen Beitrag für die Gemeinschaft geschätzt wird, wenn die anderen um seine Vorzüge und um seinen Wert für die örtliche Gemeinschaft und damit auch sie selbst wissen, erst dann wird man sich in der Gemeinschaft tatsächlich heimisch fühlen.

Auslöser von Neid und Mißgunst sind ein untrüglicher Hinweis für jeweils exakt das, was die Neidischen und Mißgünstigen selbst zu wenig haben. Neiden sie anderen Erfolg? Dann muß man ihnen Erfolgserlebnisse verschaffen. Neiden sie anderen das Ansehen? Dann muß man ihnen Gelegenheit geben, selbst angesehen zu werden. Neiden sie anderen den Wohlstand? Dann muß man ihnen eine Chance geben, selbst wohlhabend zu werden. Neiden sie anderen das Selbstwertgefühl? Dann beweise ihnen, daß sie selbst etwas wert sind.

Um Neid und Mißgunst zu mindern (ganz beseitigen kann man sie wohl nicht), muß man das Selbstwertgefühl der Einzelnen fördern. Um das Selbstwertgefühl der Einzelnen zu fördern, muß man Gelegenheiten schaffen, wo sie das, was sie wissen und können,  der Gemeinschaft zeigen und zugutekommen lassen können, wo sie selbst Lob, Anerkennung und Bewunderung bekommen.

Wer glücklich und gewertschätzt ist, kann gar nicht neidisch sein. Wer mit sich im Reinen ist, ist leichter wohlgelitten.

Heile die Seele der Einzelnen, und du heilst die Gemeinschaft.